Beim Erreichen von Zielen stehen wir uns manchmal selbst im Weg. Die äußeren Umstände dafür verantwortlich zu machen, ist dann sehr verführerisch. Doch es gibt noch eine tiefere Ebene. Wir selbst erzeugen diese Hürden – unbewusst. Es sind Persönlichkeitsanteile in uns aktiv, die den inneren Widerstand verursachen.
Unsere Persönlichkeit besteht aus vielen
In den vielen Jahren der „inneren Arbeit“ habe ich immer wieder mit Widerständen und Blockaden zu tun gehabt. Ich habe versucht, sie auf rein energetischer Ebene aufzulösen, aber sie hatten die Tendenz wiederzukehren. Wenn wir Widerstände richtig erfassen wollen, müssen wir tiefer, zu den wahren Ursachen gehen. So können Blockaden wirklich aufgelöst werden.
Innerer Widerstand und Blockaden entstehen, weil in uns verschiedene Persönlichkeitsanteile sind, die nicht an einem Strang ziehen. Das ist zumindest das Erklärungsmodell, das meinen Erfahrungen am nächsten kommt.
Das Modell der inneren Anteile ist in der Psychologie nichts Neues (siehe Links am Ende des Beitrags). Jede*r wird zudem schon vom „inneren Kind“ gehört haben. Im Prinzip haben wir alle viele verschiedene Anteile in unserer Psyche. Diese entstehen im Laufe des Erwachsenwerden. Es sind abgespaltene Persönlichkeitsanteile, die in bestimmten Situationen nicht erwünscht waren.
Das innere Kind und der Wächter
Für die Spaltung sorgt ein Anteil, der manchmal als „Wächter“ bezeichnet wird. Er ist ein Persönlichkeitsanteil, der sich den Forderungen des Umfelds, in dem wir aufwachsen, anpasst. Er stellt im Grunde eine Verinnerlichung elterlicher Aspekte dar, repräsentiert die Regeln und Wünsche der Eltern und der Menschen, die uns als Kind prägen.
Das Ganze kann dann z.B. so aussehen: Ein Inneres-Kind-Anteil in dir fühlt sich schnell so, als könne es nichts richtig machen, während der komplementäre Anteil dich antreibt und ungeduldig ist. Diese beiden Anteile konkurrieren in deinem Inneren miteinander. Solange sie in einem gewissen Gleichgewicht sind, ist nach außen hin alles ok. Bei Stress und Überforderung jedoch geraten sie in Konflikt. Bemühungen, ein Ziel zu erreichen, können dann vereitelt werden.
Schutz vor Schmerz
Der Wächter hat sich einst gegen ursprüngliche und authentische Teile unseres Selbst gestellt hat. Dadurch wird eine Spannung erzeugt, die früher oder später zu Widerständen führt. Aber durch die Abspaltung hat er auch für eine Art Schutz gesorgt, damit wir so schmerzfrei wie möglich durchs Leben kommen.
Es sind meist verletzte Anteile ebenso wie unsere Verletzlichkeit selbst, die vom Wächter-Anteil überschattet werden. Daher haben wir manchmal keinen Zugang mehr zu unserem Schmerz. Und aus dem Grund ist es auch möglich, dass wir uns selbst verletzen oder verletzen lassen und dabei nichts fühlen.
Da all diese Anteile früh in unserem Leben geprägt wurden, haben sie viel Macht und binden eine Menge emotionale Energie. Sie sind sozusagen die Grundlage, auf der wir aufbauen. Jeder Anteil hat seine eigene (gehörte oder überhörte) Stimme, die im Leben eine bestimmte Stimmung und Situation erzeugen.
Beispiele
Ein Beispiel: Ein Kind wird von seinem cholerischen Vater stets angebrüllt, wenn es sich weigert, etwas zu tun. Es wird von der intensiven Wut des Vaters überrollt und beginnt zu weinen. Aber der Vater wird noch wütender. Das Kind wird lernen, dass Tränen zu Abweisung und Verlassenheit führen und diese mithilfe des Wächters unterdrücken.
Ein anderes Szenario wäre, dass der Vater sich beruhigt, sobald er Tränen sieht. So lernt das Kind, mit Tränen zu reagieren, dafür aber seine aggressiven Impulse abszuspalten.
Praxis: inneren Widerstand auflösen
Der erste Schritt, mit inneren Widerständen umzugehen ist, sich bewusst zu werden, dass es bestimmte Persönlichkeitsanteile sind, die ein Unterfangen vereiteln. Sobald du merkst, dass etwas partout nicht klappen will und sich innerlich Widerstand aufbaut, solltest du am besten innehalten und dich zu allererst um die genaue Erfassung dieses Widerstands kümmern. Es bringt nämlich gar nichts, irgendwie weitermachen zu wollen.
Konkretes Vorgehen
Setz dich in einer ruhigen Stunde hin und werde innerlich still. Atme dafür mindestens 10 Minuten (oder so lange du magst) ganz bewusst ein und aus. Dann begib dich mit der Intention, mehr über den inneren Zustand und deine inneren Anteile zu erfahren, nach innen. Beobachte deine Gedanken und deine Gefühle achtsam. Schau, wie und wo sie sich in deinem Körper manifestieren. Kommentiere nichts, sondern komm immer wieder zur Wahrnehmung zurück.
Frage dann sozusagen in dich hinein, welche Anteile in der Angelegenheit beteiligt sind und welcher Anteil sich gerade querstellt. Bleib dabei offen für innere Bilder oder Worte. Innere Anteile können als Stimme oder visuell erscheinen oder du fühlst es einfach nur.
Lass sie zu Wort kommen oder dir zeigen, was sie ausdrücken wollen. Vor allem: Sei mit dem jeweiligen Anteil. Du musst gar nicht viel tun, sondern bleib bei ihm. Er ist ein Teil von dir und du stehst ihm sozusagen bei und integrierst ihn dadurch. Es geht nicht darum, ihn zu ändern. Sobald er sich ins Ganze einfügt, ist er kein Hindernis mehr. Ein Problem entsteht nur, wenn er sich über alle anderen Anteile stellt.
Innere Anteile brauchen Aufmerksamkeit
Meist ist es ein Inneres-Kind-Anteil, der Aufmerksamkeit und Annahme braucht, da es zu stark beiseitegedrängt wird. Durch Widerstand und Blockaden signalisiert es dir, dass es – wie einst – übergangen wird und dass hier noch Schmerz bzw. Energie dahintersteckt.
Wenn ein überdeckter innerer Anteil für eine Weile einfach angenommen wird, ist das ungemein heilsam. Wenn du möchtest, kannst du danach mit dem Anteil sprechen und zusammen könnt ihr eine Lösung finden. Du agierst im Grunde wie eine innere obere Instanz, die vermittelt und alle Anteile in die Ganzheit bringt. Am wichtigsten ist, einfach da zu sein für den Persönlichkeitsanteil, ihm akzeptierend zu begegnen. Du wirst sehen, die Gefühle entwirren sich und du hast danach mehr Klarheit und Energie.
Zum Schluss kannst du dir alles aufschreiben. Denn ansonsten kann es sein, dass du leicht vergisst, was du wahrgenommen hast.
Fazit
Sich bei Widerstand gegen die eigenen Gefühle zu stellen, bringt nichts. Geh nach innen, statt außen nach Gründen zu suchen. Du bist ein Bewusstsein, das viele verschiedene Anteile umschließt, die teils in unerlösten Gefühlskonstellationen festhängen und nicht richtig integriert sind. Erfülle dein Inneres mit reiner Wahrnehmung – so lange, bis du das Gefühl hast, das sich der Tumult legt. Danach kannst du mit neuer Kraft an die Sache gehen. Das funktioniert viel besser.
Interessante Links
https://www.sein.de/die-struktur-der-psyche-teilpersoenlichkeiten/
http://www.dipl-psych-herrmann.de/html/inneres_team.html
Unter Ego-State-Therapie ist ein Ansatz bekannt, der sich mehr auf die Therapie von Traumata konzentriert. Auch hier spielen die Persönlichkeits-Anteile eine Rolle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ego-State-Therapie
Interessante Bücher
Kennt ihr IFS, „Internal Family System“? Die von Richard Schwartz entwickelte Therapie geht auch davon aus, dass in unserem Innern mehrere Anteile sind. Er setzt diese in den Kontext einer Familie. Sein Buch „IFS Das System der Inneren Familie: Ein Weg zu mehr Selbstführung“ ist ein Meilenstein auf diesem Weg.
Auch von dem Psychotherapeuten Jochen Peichl ist ein gut geschriebenes Buch erschienen: „Jedes Ich ist viele Teile – die innere Ich-Anteile als Ressource nutzen.“
Wichtige Info
Wenn du merkst, dass deine inneren Anteil dir im alltäglichen Leben zu große Sorgen bereiten und du nicht mehr weiterkommst, nimm die Hilfe eines Therapeuten in Anspruch. Der Schritt mag nicht leicht sein, aber es lohnt sich, mit einem erfahrenen Menschen an diesem Prozess zu arbeiten!
Liebe Sabine,
danke für dein Feedback. Genau, die Wächter sind unsere inneren Anteile, die wir als Kind von uns abgespalten haben, um besser mit schmerzhaften Erlebnissen umzugehen. Es sind aber nicht nur alles „Wächter“, sondern auch andere Anteile. Da kann man dann z.B. einen Anteil des inneren Kindes in einem bestimmten Alter finden, der noch immer Angst vor einer bestimmten Situation hat. Von daher kann sich da auch durchaus ein konkretes Bild von dem Kind entwickeln. Manche fühlen aber auch nur. Das ist auch ok. Schau einfach, was für Bilder oder Empfindungen entstehen. Du kannst dir auch jemanden suchen, der sich etwas mit der Sache auskennt und dich dann mit Anleitungen durch den Prozess führt.
Herzliche Grüße
Gina
Liebe Gina,
ich danke für diesen Hilfreichen Eintrag! Ich bin gerade dabei meine Wächter zu erkennen und möchte diese auflösen, bzw besser mit ihnen umzugehen lernen.
Habe ich es richtig verstanden, dass die Wächter unsere inneren Anteile sind, die wir als Kind erschaffen haben, um uns vor extremen Schmerz zu schützen?
Und dass wir mit und durch diese Anteile Überlebens- und Ablenkungsstrategien entwickelt haben, welche wir auch im Erwachsenen Alter noch anwenden, um diese enormen Gefühle nicht fühlen zu müssen?
Dann wollte ich noch gerne wissen, ob ich den Wächtern ein Gesicht/Gestallt geben muss/kann um mit ihm in Kontakt zu kommen (ähnlich wie, dass ich mein inneres Kind sehe)?
Wenn ja, was wäre hier hilfreich (bspw. ein imaginärer Drache, der vor meiner Tür wacht o.ä.)?
Herzlichen Dank
Sabine
Ich stimme voll und ganz zu, dass die Tendenz, unsere Schwierigkeiten beim Erreichen von Zielen auf äußere Umstände zu schieben, nicht der richtige Weg ist. Eine mitfühlende Herangehensweise ist notwendig, der Wächter, wie Sie den Aspekt, der vor Schmerz schützt, nennen, ist auch wirklich notwendig, wenn dein frühes Leben herausfordernd war. Meine Nichte, die Psychologin ist, besucht derzeit Ego State Kurse, und sie weiß, dass ich hoffe, dass sie etwas von dem, was sie lernt, mit mir teilen wird.