Achtsamkeit: was sie ist – und was sie nicht ist

Grafiti David Bowie meditating

Achtsamkeit ist ein ziemliches Schlagwort geworden. Kein Wunder, denn sie hilft, wieder richtig zu sich zu kommen und das Leben durch und durch zu spüren. Doch viele wissen nur oberflächlich über die Achtsamkeitspraxis Bescheid. Ich gebe euch einen Einblick, was wirklich damit gemeint ist – und was nicht …


Bei dem Begriff Achtsamkeit haben viele schnell Konzepte der Selbstoptimierung im Hinterkopf. Doch eigentlich bezweckt die Achtsamkeitspraxis etwas Anderes. Ihr Ursprung liegt in der komplexen buddhistischen Praxis (siehe Kasten unten) und so ist es nicht verwunderlich, dass mit Achtsamkeit mehr gemeint ist, als es den Anschein hat.

Dass ihre Anwendung in unser modernes Leben Einzug gehalten hat, haben wir Jon Kabat-Zinn zu verdanken, der „Mindfulness“, wie der englische Begriff lautet, in Kliniken und Praxen brachte.  

Was ist Achtsamkeit nicht?

  • Achtsamkeit ist nicht Aufmerksamkeit. Es geht nicht nur darum, lediglich aufmerksamer zu werden.
  • Achtsamkeit ist nicht Selbstoptimierung. Es geht nicht darum, sich zu verbessern, um in bestimmten Bereichen erfolgreicher oder glücklicher zu werden. Dies können zwar durchaus Folgen sein, aber die Praxis der Achtsamkeit geht anders.
  • Achtsamkeit ist nicht positives Denken. Die Gedanken werden zwar beobachtet, aber sie sollen nicht verändert werden.
  • Achtsamkeit hat nichts mit Vorsichtig-Sein zu tun. Und sie bedeutet auch nicht, immer freundlich zu sein. In der buddhistischen Praxis spielen zwar Mitgefühl und Freundlichkeit/Güte (anderen und sich selbst gegenüber) eine große Rolle, aber sie sind nicht gleichbedeutend mit Achtsamkeit.

Was ist Achtsamkeit also?

Achtsamkeit wird als kontinuierliches, absichtsvolles, nicht-urteilendes Gewahrsein beschrieben. Sie stellt eine innere Haltung dar, bei der beobachtet wird, was in uns vorgeht, aber ohne weiteren Einfluss auf diese Beobachtung zu nehmen. Innehalten, Nicht-Urteilen, Akzeptanz, Loslassen und Offenheit sind die Zutaten für die Achtsamkeitspraxis.

Nahezu automatisch tendieren wir im Alltag dazu, alles zu bewerten, was wir selbst und was andere tun. Wenn wir uns dessen gewahr werden und wir diese Gedanken nicht weiterverfolgen, öffnet sich ein innerer Raum. Wir beginnen langsam, uns selbst zu erkennen, unsere Muster und Automatismen. Dabei ist es wichtig, mit Selbst-Mitgefühl an die Sache zu gehen, also auch wieder nicht zu bewerten oder zu verurteilen. Es geht eben nicht um eine Änderung, sondern um das Annehmen deiner selbst.

Der Moment zwischen Reaktion und Ruhe

Schwierig ist meist, den Moment zu erhaschen, in dem Gedanken starke negative Emotion auslösen. Ein Kommentar unseres Gegenübers wird z.B. von uns als negativ bewertet und schon kommt eine Welle des Ärgers oder der Enttäuschung über uns. An diesem Punkt gilt es, bewusst zu bleiben, zu beobachten, also nicht in übliche Reaktionsmuster zu verfallen. 

Da meist alles sehr schnell geschieht, verpassen wir leicht den Moment, in dem die Reaktion einsetzt. Dann finden wir uns in typischen fight-or-flight-Szenarien wieder – die instinktive Reaktion, entweder in den Angriff überzugehen oder zu fliehen. Wenn wir es aber schaffen, das Einsetzen der Reaktion wahrzunehmen, können wir dazu übergehen, uns innerlich zu beobachten, wahrzunehmen und einfach mit der Erfahrung zu „sein“. Die Beobachter-Position führt dazu, dass du der Reaktion nicht völlig ausgeliefert bist, sondern ein Teil von dir neutral bleibt. Und dadurch fällt auch die Reaktion nicht so heftig aus.

Mit der Erfahrung sein, ohne sie zu bewerten

Mit etwas Übung kommen wir so in Verbindung mit einer tieferen Ebene in uns selbst, die uns mehr innere Stabilität verleiht. Während der Praxis können sich allerdings einige emotionale Tiefen auftun. Deshalb ist ein Praxiskurs hilfreich. Wer z.B. unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen leidet, benötigt u.U. Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der beobachtenden Haltung. Die Emotionen mit dem dazugehörenden Gedankenkarussell haben sonst zu viel Kraft, den Geist fortzureißen – eine Kraft, die meist durch etliche Wiederholungen über eine gewisse Zeit an Intensität gewonnen hat.

Hilfreich: Aufmerksamkeit auf den Körper richten

Um während einer aufkommenden Emotion genügend bewusst zu bleiben, ist es sehr hilfreich, sich auf die Körperempfindungen zu konzentrieren. Wo macht sich die Emotion im Körper bemerkbar? Bleib bei dieser Empfindung und beschreibe sie für dich im Innern. Schau auch, wie deine Atmung gerade ist. Ist sie flach und schnell?

Achtsamkeit während emotionalen Phasen zu üben, ist schon etwas fortgeschritten. Meist wird die Praxis zuerst in ganz alltäglichen Situation angewandt, beim Essen, beim Aufräumen, beim Duschen – jede alltägliche Tätigkeit kann achtsam durchgeführt werden. Dadurch erhalten Handlungen mehr Tiefe, mehr Lebendigkeit. Die Konzentration geht auch hier vermehrt vom Kopf in den restlichen Körper, beim Spülen in die Hände, beim Spazieren in die Füße usw. Multitasking ist hier fehl am Platz. Sorgfalt und Spüren stehen im Vordergrund.

Die Wirkungen von Achtsamkeit

Dass Achtsamkeit eine positive Wirkung auf den Menschen hat, ist vielfach erforscht und bestätigt worden (siehe Links unten). Neurowissenschaftler haben sogar gezeigt, dass eine regelmäßige Achtsamkeits- und Meditationspraxis unsere Gehirnstruktur verändert.

So z.B. der Neuropsychologe Rick Hanson. Er befasst sich seit vielen Jahren mit dem Zusammenwirken von Achtsamkeit, Hirnforschung und Psychologie und hat die Vorteile von Achtsamkeitstrainings aufgezeigt. Erfahrungen von Praktizierenden sind, dass sie durch eine regelmäßige Praxis stressresistenter, fokussierter, gelassener und selbstbewusster durch die Welt gehen.

Persönlich erfahrene Wirkungen

Was ich persönlich gemerkt habe ist: Achtsamkeit hat etwas Heilsames. Wenn ich mich unwohl fühle oder krank werde/bin und dann immer wieder achtsam zu mir komme, hilft das ungemein. Besonders gut wirkt, einfach bei der Stelle im Körper zu bleiben, die z.B. schmerzt oder sich blockiert anfühlt. Die Aufmerksamkeit einfach dort lassen und beobachten. Das hat schon so manches Wehwehchen vertrieben …

Und: Achtsamkeit fördert Synchronizitäten. Je achtsamer ich bin, umso häufiger habe ich z.B. Déjà-vus. Und umso mehr treffe ich zur richtigen Zeit die richtigen Leute, bekomme den passenden „Wink mit dem Zaunpfahl“ oder finde das richtige Werkzeug für eine Unternehmung. Das macht das Leben ein klein wenig magischer.

Wie wurde Achtsamkeit zum Trend-Thema?

In einer Zeit von Überreizung und Burnout ist Achtsamkeit etwas, das gerade richtig kommt. Ausschlaggebend für die Verbreitung war der amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn. Bereits Ende der 1970er erforschte er, wie sich ein Achtsamkeitstraining auf Geist und Körper von Menschen mit chronischen Schmerzen und Stress-basierten Beschwerden auswirkt. Er kreierte das Programm „MBSR“ (Mindfulness Based Stress Reduction/Stressbewältigung durch Achtsamkeit), das seitdem im klinischen Bereich angewendet wird und immer mehr Eingang in andere Bereiche gefunden hat.

Neben dem achtwöchigen MBSR-Programm von Jon Kabat-Zinnh haben sich Programme für bestimmte Zielgruppen entwickelt, so z.B. die Mindfulness-based Cognitive Therapy (MBCT), ein Programm zur Rückfallprophylaxe bei Depression u.a. Auch in Schulen, Universitäten und Firmen wird vermehrt auf achtsamkeitsbasierte Programme gesetzt. Die Zukunft wird sicher noch mehr positive Veränderungen in Bereichen mit sich bringen, die unsere volle Aufmerksamkeit brauchen. Achtsamkeit ist Nachhaltigkeit in Aktion.

Achtsamkeit im Buddhismus

Achtsamkeit („sati“) kommt in verschiedenen Bereichen der buddhistischen Praxis vor. Zum einen in der Beschreibung des „Edlen Achtfachen Pfades“ auf. Dieser Pfad besteht aus 3 Wegabschnitten:

  • I Erkenntnis/Weisheit: rechte Einsicht und rechte Absicht
  • II Tugend/Ethik: rechte Rede, rechtes Handeln und rechter Lebenserwerb
  • III Meditation: rechtes Streben, rechte Achtsamkeit und rechte Versenkung

Aber vor allem kommt Achtsamkeit ausführlich in der Sathipatana Suta vor, einer Lehrrede zur Etablierung der Achtsamkeit, vor.

Sathipatana ist der „direkte Weg zu Nibbâna“ (Nirwana), wie der buddhistische Mönch und Gelehrte Bhikkhu Analayo sagt. Der Begriff „Satipathana“ ist ein zusammengesetzter Begriff, der ihm zufolge eine besondere Weise des „Gegenwärtigseins“ und der „begleitenden Anwesenheit“ bei einem Geschehen mit Achtsamkeit bezeichnet, also etwas wie „Begleiten mit Achtsamkeit“.

Die wesentlichsten Aspekte dieses Weges bestehen aus der Betrachtung des Körpers, der Gefühle, des Geistes und der Dhammas (geistige Gesetze). Die dafür förderlichen Qualitäten sind: Unermüdlichkeit, Wissensklarheit, Achtsamkeit und Freiheit von Verlangen und Betrübnis.

Daneben spielt Achtsamkeit auch bei den „Erwachensfaktoren“ eine Rolle und kommt an vielen weiteren Stellen in der buddhistischen Lehre vor.

Links

https://dfme-achtsamkeit.com

https://www.achtsamleben.at/was-ist-achtsamkeit/

https://www.arbor-seminare.de/was-achtsamkeit-ist/

https://www.mindfulness.swiss/achtsamkeit/achtsamkeit/

Zur Forschung

http://www.mbsr-verband.de/mbsr-mbct/forschung.html

www.harvardbusinessmanager.de/blogs/wie-achtsamkeit-und-meditation-ihr-gehirn-veraendern-kann-a-1016687.html

www.zeit.de/zeit-wissen/2012/01/Meditation-auf-Rezept

www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/achtsamkeit/pwieachtsamkeitindermedizin100.html

www.dfme-achtsamkeit.de/achtsamkeit-glueck-achtsamkeitstraining/

Interessante Bücher zum Thema

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.